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Mutter


Als Jugendliche habe ich Elisabeth Badinter s „Mutterliebe“ verschlungen. Ich war d’accord mit dem, was sie schrieb. Fand es interessant, dass es in früheren Zeiten keine Muttergefühle gegeben haben soll. War verärgert, dass Kinder als kleine Erwachsene galten - lange Zeiten. Dass sie darum auch früh arbeiten geschickt wurden. Dass man sie einfach weg geben konnte. Badinter stellt die These auf, dass es keine angeborene Mutterliebe gäbe. Ich gab ihr recht. Ich konnte ihrem Denkansatz folgen.

Damals!

Damals als die Phase war, wo alles, was meine Mutter von sich gab, auf den Prüfstand kam. Im Zweifel immer doof war. Übervorsichtig. „Mir passiert schon nichts“ - das Unwissen und Glück der Jugend!

Dann vergass ich das Buch. Wurde „erwachsen“. Und bekam das erste Kind. Ein Bündelchen Mensch wurde mir auf den Bauch gelegt. Und da war sie. in den Monaten der Schwangerschaft und dann voll und ganz. Diese „Mutterliebe“. Dieses tiefe Gefühl, „für Dich würde ich morden, falls Dir jemand wehtut!“ „Dich will ich beschützen, lieben, begleiten, Dir Wurzeln und Flügel geben - damit Du immer einen Platz zum Hinkommen hast und doch Deiner Wege gehen kannst …. In weiter Ferne“.

Und nun ist sie da.

Die weite Ferne.

Elisabeth Badinter betrat in ganz anderer Weise wieder mein Leben (ein Interview in der FAZ) und auf einmal war dieses Buch wieder präsent. Meine Gedanken ganz anders. Mein Blick auf meine Kinder - heute an ihrer Schwelle zum Erwachsenenleben - ich immer noch im Beschützermodus. Aber sie haben ihre Wurzeln bekommen und ihre Flügel sind gewachsen. Die Kreise, die sie ziehen, werden immer größer und länger. Und das ist gut so. Und soll so sein.

Nun bin ich dort, wo meine Mutter vor vielen Jahren stand. Als ich erwachsen wurde. Heute ist ihr 4. Todestag. Ich habe sie Mami genannt und vergessen, sie zu fragen, wie das entstanden ist. Denn sie hat ihre Mutter Mutti genannt. Und oft geben wir das weiter, was wir gelernt haben. Sie nicht. Diese Frage wird mir nicht mehr beantwortet werden können. Sie war eine kluge Frau, schwierig - Künstlerin - freiheitsliebend. Mutter. Keine einfache! Ganz gewiss nicht. Gerade wir hatten viele Kämpfe miteinander. So ist das, wenn zwei Freiheits- und Wahrheitskämpferinnen sich arrangieren müssen. Die Lebensaufgabe „Mutter und Tochter“ gestellt bekommen. Die Kämpfe und das Verzeihen danach konnten viele nicht verstehen. Manchmal wir auch nicht. Aufstehen. Weiterlieben. Ich empfand sie oft als ungerecht. Trotz ihrer unbrechbaren Liebe zu uns Kindern. Wir sind, was wir geworden sind. Aus tausenden von Gründen. Individuell. Auch sie. Sie hatte auch ihr eigenes Leben. Und auch wenn ich vieles anders gemacht habe, habe ich vieles auch übernommen und an meine Kinder - ebenfalls in Liebe - weitergeben. Und auch diese werden mich oft nicht verstehen - vielleicht, wenn sie selbst Kinder haben. Und das ist so. Ich vermisse sie jeden Tag. Immer ein bisschen. Manchmal, wie heute, so sehr, dass es einfach nur schmerzt! Und dann höre ich sie, kurz vor ihrem Tod, zu mir sagen: „Und morgen Früh geht die Sonne wieder auf!“ So wird es sein.


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